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17. Oktober 2018 Institut fuer Spielanalyse

Der saure Sahne Impact: Was erlaube Bayern München?!

Keine Millionen-Transfers im Sommer und in der Bundesliga setzte es zuletzt eine herbe Heim-Pleite gegen Borussia Mönchengladbach. Der Sturz auf Platz 6 sorgte nicht für Wiesn-, sondern Krisen-Stimmung beim Rekordmeister. Viele mutmaßen, wo die Gründe dafür liegen. Statt der Glaskugel setzt read the game lieber auf Daten. Zusammen mit Prof. Dr. Martin Lames, Lehrstuhlinhaber für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der TU München, richten wir dabei den Blick auf den WM-Faktor. Wie stark sind die Nachwirkungen einer Weltmeisterschaft auf die Folgesaison und die Clubs? Wie viel saure Sahne verträgt ein Klub?

Mia san Mia – außer nach der WM

An sich müssten sie in München ganz gelassen sein. Denn die Erfahrung, dass es nach einer Weltmeisterschaft zu Saisonbeginn alles andere als rund läuft, mussten sie bereits 2010 und 2014 machen. Andererseits ist das Transfergebaren des Meisters um so mehr zu hinterfragen, denn die aktuelle Situation ist alles andere als eine Überraschung. Das hat Prof. Dr. Martin Lames mit seinem Mitarbeiter Dr. Otto Kolbinger bereits in der Vergangenheit untersucht. Nach der Weltmeisterschaft in Südafrika im Jahr 2010, zu der die Bayern insgesamt 13 Spieler abstellten, stand man am Ende des siebenten Spieltags auf Platz zwölf der Tabelle mit gerade Mal acht Punkten. Derweil thronte Mainz 05, das nur einen WM-Fahrer hatte, mit sieben Siegen auf Platz eins. Die Saison endete damit, dass Dortmund den Titel holte und die Bayern auf Platz drei landeten.

In der Saison nach dem Titelgewinn in Brasilien hatte man nach vier Spieltagen acht Punkte vorzuweisen und lag damit auf Platz vier. Ebenfalls alles andere als der Normalzustand beim FC Bayern München. Zumal vor einem die Fußball-Großmächte Paderborn (0 WM-Fahrer), abermals Mainz 05 (4) und Hoffenheim (2 WM-Fahrer) rangierten. Alles andere als rund lief es in der Spielzeit auch beim BVB. Die Dortmunder (10 WM-Fahrer) standen zu dem Zeitpunkt auf Platz zehn und zur Winterpause sogar auf Rang 17. Derweil fanden die Bayern dieses Mal schneller zurück in die Spur und waren am siebenten Spieltag wieder Tabellenführer. Und standen dort auch am Ende der Spielzeit. Dortmund kam in der Rückrunde ebenfalls noch ins Rollen und landete auf Platz sieben. Es war jedoch zeitgleich das Ende der Ära Klopp in Dortmund.

Eine Weltmeisterschaft kostet die Vereine Punkte, Trainer, Titel

Lames konnte zwei Weltmeisterschaften hintereinander einen Zusammenhang zwischen der Zahl der abgestellten Spieler und dem Tabellenrang statistisch signifikant nachweisen. Rangierten die Top-Teams mit den meisten Nationalspielern, den Sahne-Spielern, vor einer Weltmeisterschaft an der Tabellenspitze, herrscht zumindest zu Beginn einer Saison nach dem Turnier eher die Phase der Außenseiter. Lames dazu: „Offenbar zieht die schlechtere Saisonvorbereitung der WM-Teilnehmer, die ja eine viel kürzere Erholung und Vorbereitungsphase hatten als die Nicht-Teilnehmer, für die Vereine messbare Einbußen in der sportlichen Konkurrenzfähigkeit nach sich.“ Und ergänzt: „Irgendwann werden sich die Vereine von ihrem WM-Handicap erholt haben, denn mit den vielen Nationalspielern sind sie besser aufgestellt. Die Formkrisen der Top-Spieler werden vorübergehen.“

Neue Saison, alte Muster?

Blickt man auf die Tabelle am 7. Spieltag, fühlt man sich bestätigt. Ganz oben thront zwar der BVB mit neun WM-Fahrern, dahinter folgen jedoch unter anderem RB Leipzig (2), Werder Bremen (3), Hertha BSC (3), und auf Platz 8 die abermals gut nach einer WM in die Spielzeit gestarteten Mainzer (0).

Unter dem Strich stellte der FC Bayern München in der Bundesliga erneut die meisten Spieler zur Weltmeisterschaft ab (11). War somit ein erneuter “Fehlstart” vorprogrammiert? Nicht zwingend. Denn nur einer von ihnen, Corentin Tolisso, erreichte das WM-Finale. Der BVB hatte zu Saisonbeginn zwar “nur” neun Spieler im Kader, die zuvor in Russland für ihr Land aufliefen. Diese Akteure sammelten jedoch deutlich mehr Spielzeit als die Bayern-Kicker im Nationaldress (BVB: 2513 Minuten, FCB: 1962). Dortmunds neuer Chef im Mittelfeld, Axel Witsel, stürmte beispielsweise mit den Belgiern bis auf Platz drei. Der Pokalsieger aus Frankfurt kommt auf die gleiche Zahl von Teilnehmern an der WM wie der BVB. Hat mit Ante Rebic aber sogar einen Vize-Weltmeister vorzuweisen.

Trotz des frühen WM-Aus der deutschen Nationalmannschaften standen die DFB-Kicker Niko Kovac allerdings nicht viel früher zur Verfügung. Wie alle anderen WM-Teilnehmer in der Bundesliga, hatten sie knapp zwei Wochen vor Saisonstart ihren ersten Diensttag in der neuen Spielzeit. Heißt im Umkehrschluss, dass andere Teams mit weniger Nationalspielern bei der WM mehr Zeit mit ihren Spielern zum arbeiten hatten. Positiv am frühen Aus der Deutschen: Die DFB-Kicker beim FC Bayern München konnten sich länger erholen.

Bayern abhängiger von WM-Spielern als Dortmund und Frankfurt

Das zusätzliche Erholungspolster war aber auch dringend nötig. Denn kaum zurück im Verein, hieß es Volldampf. Zwei Wochen Vorbereitung mit neuem Coach und dann fast durchgängig wieder auf dem Platz. Beim FC Bayern München haben zwei Spieler, die zuvor in Russland waren, bisher keine Minute verpasst: Neuer und Kimmich. Bei Borussia Dortmund sind es ebenfalls zwei: Akanji und Torhüter Bürki.

Der Unterschied: Bei den Bayern standen mit Süle, Lewandowski, Thiago und Müller vier weitere Akteure bereits über 500 Minuten auf dem Platz, die zuvor bei der WM waren. Bei Dortmund ist es nur die Hälfte (Witsel und Reus). Millionen-Neuzugang Delaney mit Dänemark bei der WM dabei und jede Minute auf dem Platz, kam beim BVB bisher nicht vollends zum Zuge. Hat jedoch schon drei Beteiligungen an Toren und 18 an Torschüssen gesammelt (Jeweils Top 10 beim BVB). Diese Qualität hat der FC Bayern aktuell nicht. Bei der wiedererstarkten Eintracht aus Frankfurt standen mit Torhüter Trapp und Filip Kostic beide knapp 540 von 630 möglichen Minuten auf dem Platz. Beim Rest ihrer Mitspieler kam keiner über die 500 Minuten Grenze.

Insgesamt haben bei den Bayern die WM-Spieler knapp 70 Prozent der möglichen Einsatzminuten (6930 Minuten) bis zum 8. Spieltag auch auf dem Platz verbracht. In Dortmund sind es aktuell nur 63 Prozent, bei Frankfurt sogar nur 46 Prozent. Ein Tief war also abzusehen. Das kennt man auch aus dem Alltag: Nach einem schönen Urlaub folgt das Comeback am Arbeitsplatz. Erwarten einen dort ohne Schonfrist große Herausforderungen, kann man zwar mit viel Energie alles angehen, der Erholungseffekt ist jedoch schnell wieder verpufft. Es folgt bisweilen sogar ein Leistungstief. Erst Recht, wenn die Unterstützung von links und rechts fehlt.

Kovacs Rumpfkader gegen Favres Asse im Ärmel

Um somit sind wir mitten drin in der Bayern-Krise oder der Frage: Wie viel saure Sahne verträgt ein Klub? Obwohl der amtierende Meister mit vier Siegen in die Spielzeit startete, traten allmählich die Schwachstellen auf. Praktisch nach jeden Spieltag musste man in München einen verletzten Spieler mehr verzeichnen und somit schwanden dem Trainer zunehmend auch die Optionen. Von 23 Spielern sind Stand jetzt sechs Spieler nicht einsatzfähig gegen den VfL Wolfsburg. Zudem sind von den 23 Mann 4 Spieler Torhüter. Heißt von 19 Feldspielern, stehen Niko Kovac 13 Stück zur Verfügung. Das führte dazu, dass andere Spieler bereits länger auf dem Platz standen, als es vielleicht gut für sie und das Team war. Und damit auch die Leistungsfähigkeit des Teams anfällig wird für Schwankungen.

Somit könnte sich wirklich rächen, dass in München der prominenteste Wechsel auf der Trainerbank stattfand. In Dortmund zwar auch, aber man war zugleich deutlich aktiver auf dem Spielertransfermarkt.

Denn auch bei der Borussia aus Dortmund und der Frankfurter Eintracht muss man sich ebenfalls mit verletzten Spielern auseinandersetzen. Allerdings stehen dem aktuellen Tabellenführer noch 22 Feldspieler zur Verfügung nach Abzug der Torhüter. Bei Frankfurt kehrte Torhüter Kevin Trapp angeschlagen von der Nationalelf zurück, zudem sind noch vier weitere Spieler aktuell nicht einsatzfähig. In Anbetracht eines 36 Spieler umfassenden Profikaders sollte der Kovac-Nachfolger Adi Hütter jedoch eine Lösung finden, um die verletzten Spieler zu kompensieren.

Beginnt der WM-Faktor erst so richtig zu wirken?

Wie Lames bereits erwähnte, erholen sich die Teams in der Regel irgendwann von ihrem WM-Handicap und finden zur Normalform zurück. Auch der FC Bayern München dürfte am Ende der Saison in der Ligaspitze vertreten sein. Fakt ist jedoch, dass sich der Rekordmeister aufgrund der aktuellen Situation enorm schwer tut, Tore zu erzielen und somit Siege einzufahren. Seit zwei Spielen traf man gar nicht mehr und ingesamt benötigte man im Schnitt zehn Torschüsse, um einen Treffer zu markieren. Derweil sind die Dortmunder gnadenlos effektiv: Fast jeder vierte Schuss führt zum Torjubel bei Schwarzgelb. Eintracht Frankfurt liegt derzeit bei einer ebenfalls guten Quote von 5 zu 1. Neun Treffer erzielten zudem Einwechselspieler vom BVB. Der Top-Wert der Liga. Den Bayern gelangen bisher nur zwei Joker-Tore.

Aufgrund der Bedeutung der WM-Fahrer, insbesondere der deutschen Akteure beim FC Bayern München, könnte bei ihnen wie beschrieben der Negativlauf erst so richtig Fahrt aufnehmen, bevor es wieder besser wird. Lames dazu: “Eine längere Strecke der Erfolglosigkeit als Folge der Formkrise der WM-Teilnehmer kann das psychische Korsett einer Mannschaft oder eines Trainers, besonders aber des Vereinsmanagements beschädigen. Dies könne unter Umständen zu nachhaltigen Rückschlägen führen.” Und im Bezug auf Borussia Dortmund sowie die aktuellen “Überraschungsmannschaften” sagt der Sportwissenschaftler: “Zugleich kann eine Erfolgsserie Prozesse auslösen, in denen bisher unbekannte Stärken von vorher unterlegenen Teams zutage treten und in sportlichen Erfolg umgewandelt werden.”

Bedeutet für den Fan: Bis zur Winterpause und vielleicht darüber hinaus könnte die Bundesliga so spannend wie lange nicht mehr bleiben!

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