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2. November 2023 Institut fuer Spielanalyse

Bundesliga: Erfolgsfaktor Zufall!

Was haben der VfL Wolfsburg, die TSG 1899 Hoffenheim und RB Leipzig gemein? Die drei Klubs haben in dieser Bundesliga Saison scheinbar den Zufall gepachtet! Bei Hoffenheim (50%), Leipzig (56%) und Wolfsburg (62%) nehmen die Treffer mit Zufallsmerkmal teilweise die absolute Mehrheit ein! Ergänzt wird das Trio von den noch sieglosen Mainzern (56%).

BL-Tore-mit-Zufallsmerkmal-offensiv

Was verstehen wir unter Zufall?

Das Institut für Spielanalyse erhebt seit der Saison 2016/17 qualitative Tordaten der Bundesliga und analysiert dabei auch die Anzahl der Treffer mit Zufallsmerkmal. Was fällt dabei in den Daten auf? In der Regel weisen die Stats aus, dass auf Liga-Ebene 26-30% der erzielten Tore in einer Spielzeit mindestens ein oder gleich mehrere der nachfolgend genannten Zufallsmerkmale besitzen. 

Für die Definition von Zufall bei der Torentstehung orientieren wir uns am Forschungsansatz von Prof. Dr. Martin Lames und seinem bereits vielfach genutzten Beobachtungssystem, wonach es sechs Kriterien gibt, die unplanbare Ereignisse beschreiben (vgl. http://rund-magazin.de/news/1501/29/Taktikbuch-Interview-Lames/):

  • Der Torschuss wurde abgefälscht.
  • Der Ball prallte unmittelbar vor dem Torerfolg unkontrolliert vom Torgestänge zu den Angreifern oder ging direkt hinein.
  • Der Ball ging trotz einer starken Berührung durch den Torwart ins Netz.
  • Die Abwehr half unfreiwillig mit, indem sie den Ball unmittelbar vor dem Tor an die Angreifer verlor oder selbst ins Tor schob.
  • Das Tor fiel durch einen Schuss aus mehr als 25 Metern unter günstigen Umständen – etwa mit Sichtbehinderung des Torwarts, Aufsetzer oder Flatterball.
  • Der Ball prallte vom Torgestänge direkt ins Tor.

Basiszutaten für den Zufall

Um den Zufall auf seine Seite zu ziehen, bedarf es scheinbar Geduld. Die meisten Tore mit Zufallsmerkmal fallen ligaweit, wenn die Mannschaft länger in Ballkontrolle und der Gegner in der Defensive sortiert ist (Offensive Phase / Phase 1). Das gilt in der Gesamtbetrachtung sowohl für die vergangenen Spielzeiten, als auch für die aktuell laufende Saison. 
Zudem müssen die Spieler bis zum Ende des Angriffs hellwach sein! Denn gute 60% aller Tore mit Zufallsmerkmal sind das Ergebnis eines zweiten Balls! Gelingt es dem einzelnen Spieler, als auch der Kleingruppe im Angriff bei einem zweiten Ball schneller als die Abwehr “zu schalten”, desto häufiger scheint man sich mit Torerfolgen belohnen zu können. 

Stats 2022/23(Stand 34. SPT)

Stats 2023/24(Stand 9. SPT)

Der Zufall verleiht Leipzigs Kontern Flügel 

Unterschiede werden sichtbar, wenn man die Klubs einzeln betrachtet. Besonders kontrastreich wird es bei RB Leipzig. Die Sachsen erzielten anders als der Ligatrend rund 50% ihrer 14 Treffer mit Zufallsmerkmal im Umschaltverhalten, weitere rund 36% nach einer Standardsituation und nur knapp 14% im Rahmen einer offensiven Phase. Insbesondere der vereinsprägende Konterstil scheint also mit dem Zufall gut zu harmonieren. Zudem fielen die Zufallstreffer mehrheitlich daheim (64%). Anders bei der TSG: Die Kraichgauer fuhren fünf ihrer sechs Saisonsiege in der Ferne ein. Immer im Gepäck: Der Zufall. Acht von zehn Zufallstreffern erzielte Hoffenheim auswärts! 

Tore mit Zufallsmerkmal Saison 2022/23 Tore (9. SPT & gesamt)

BL Tore mit Zufallsmerkmal offensiv 2022:23_9_SPT
BL Tore mit Zufallsmerkmal offensiv 2022:23

VfB-Lauf kein Zufall, Wolfsburg von der Glücksfee verfolgt?

Der traumhafte Saisonstart vom VfB Stuttgart und insbesondere die fabulöse Trefferquote von Serhou Guirassy sind beeindruckend. Noch beeindruckender wird die bisherige Leistung, wenn man bedenkt, dass nur bei 15% bzw. vier der 27 Saisontreffer der Zufall einen Beitrag geleistet hat. In der Preisklasse agiert sonst nur noch der FC Bayern München, der bisher 34 Mal traf, davon wiesen jedoch nur sieben Treffer ein Zufallsmerkmal auf. Und eben der noch immer ungeschlagene Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen! Die Bilanz: 27 Saisontore, fünf davon mit Zufallsmerkmal!

Gänzlich anders sieht es bei Wolfsburg aus. Die Niedersachsen trafen im Vergleich zu den Schwaben nur knapp halb so oft und der beträchtliche Anteil von 62% der 13 Saisontreffer wies mindestens ein Zufallsmerkmal auf. Der Heimfaktor (63%) ist wie in Leipzig auch bei Wolfsburg ausgeprägt, hinzu kommt das Merkmal, dass 75% der Zufallstreffer vor dem Pausenpfiff erzielt wurden. Den Wölfen fehlt in dieser Saison generell der Biss nach dem Seitenwechsel. Erst drei Tore erzielte das Team von Niko Kovac im zweiten Spielabschnitt. Auch davon wiesen zwei Stück ein Zufallsmerkmal auf. 

Ohne Zufall kein erfolgreicher Wind im Sturm?

Jonas Wind ist zum aktuellen Zeitpunkt der Saison an 69% der Wolfsburger Saisontreffer direkt beteiligt. Getoppt wird das anteilig nur durch Vincenzo Grifo vom SC Freiburg (80%). Das macht sich auch bei den Stats auf der Spielerebene bemerkbar. Während bei den “Top-Teams des Zufalls” Hoffenheim (2x Skov) und Leipzig (2x Openda) lediglich je ein Spieler zweimal in der Torschützenliste des Zufalls auftaucht, bringt es Jonas Wind auf fünf Treffer mit Zufallsmerkmal – bei insgesamt acht Saisontreffern. Finden Jonas Wind und der Zufall nicht zusammen, herrscht scheinbar Flaute in Wolfsburgs Abteilung Sturm. 

Der Tabellenkeller: Kein Glück, keine Punkte

Echte “Pechvögel” stellen in dieser Spielzeit bisher die Bochumer (1 “Zufallstreffer”) und Gladbacher (2x) dar. Gladbach im übrigen mit den identischen Werten wie in der Vorsaison. Trotz Trainerwechsel. Noch schlechter erging es damals nur Hertha BSC. Die alte Dame schien gänzlich vom Glück verlassen und hatte nach neun Spieltagen überhaupt erst zehn Mal getroffen, kein einziger Treffer mit Zufallsmerkmal war darunter zu finden. 

Apropos vom Glück verlassen: Der 1. FC Köln stand letzte Saison zum gleichen Zeitpunkt auf einem bocksoliden 9. Platz mit 16 Treffern, darunter überdurchschnittliche viele Treffer mit Zufallsmerkmal (44%). Der Wert sank am Saisonende zwar auf 39 % herab, war damit aber noch klar über dem Liga-Schnitt. Gleichauf mit Mainz 05. Zwar liegt der Anteil in dieser Spielzeit bei beiden Clubs höher, was den Faktor Zufall angeht. Das ist jedoch in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sich beide Teams in jeder Hinsicht schwer damit tun, Tore zu schießen. Zusammen mit Bochum haben beide Clubs nach neun Spieltagen noch keine zweistellige Trefferzahl erzielt. 

BL Gegentore mit Zufallsmerkmal 2023:24

Defensive Pechvögel der Bundesliga

Wo Tore mit Zufallsmerkmal fallen, wurde auch immer eine Abwehrreihe vermeintlich unglücklich übermannt. Herausstechend: Beim Überraschungsteam VfB weisen 82 Prozent der Gegentore mindestens ein Zufallsmerkmal auf! Bezeichnend: Alle drei Gegentreffer gegen Hoffenheim fallen in diese Kategorie. Auffällig zudem: Stuttgart kassierte rund 56% seiner “Zufalls-Gegentore” im Umschaltverhalten. Anders als der Ligatrend (Saison 2023/24: ø 25,3%).  

Der arg gebeutelte 1. FC Union Berlin ist dieser Tage wahrlich nicht vom Glück verfolgt. Insbesondere in der Abwehrarbeit. Acht von 19 Gegentreffern weisen mindestens ein Zufallsmerkmal auf. Damit haben die Eisernen bereits einen Treffer mehr mit Zufallsfaktor kassiert als in der gesamten letzten Spielzeit. Insbesondere auswärts (75%) erwischte es die Berliner in puncto Gegentore mit Zufallsmerkmal. Dass man ausgerechnet 50 % der Zufallstreffer nach einer Standardsituation kassierte, schmerzt das einstige Defensivbollwerk der Bundesliga sicherlich besonders. Bereits in der Vorsaison waren die Standards gegen den Ball die große Schwäche Unions (43% aller Gegentore 2022/23). Jedoch hatte man damals alle andere defensiven Gewerke im Griff. 


Gegentore mit Zufallsmerkmal Saison 2022/23 Tore (9. SPT & gesamt)

BL Gegentore mit Zufallsmerkmal 2022:23_9_SPT
BL Gegentore mit Zufallsmerkmal 2022:23

Hoffenheim & Wolfsburg: Vorne Glück, hinten Pech? 

Interessant ist, dass Hoffenheim und Wolfsburg in puncto Gegentore mit Zufallsmerkmal ebenfalls auffällig sind. Bei Hoffenheim markant: bis zum vierten Spieltag kassierte das Team lediglich zwei “Zufalls-Gegentore”, in den letzen vier Begegnungen aber in jeder Partie je einen. Zudem ist das Team aus dem Kraichgau besonders vor dem Pausenpfiff (71%) und bei Offensiven Phasen des Gegners anfällig (57,1% aller Gegentore mit Zufallsmerkmal). Wolfsburgs Defensivreihen sind hingegen insbesondere nach der Pause anfällig für Gegentreffer mit Zufallsfaktor (83%), zudem vorrangig in Auswärtsspielen (83%) und im Rahmen einer offensiven Phase (83%). Anders RB Leipzig. Die Sachsen kassierten überhaupt erst 7 Gegentore in dieser Spielzeit, lediglich zwei mit Zufallsmerkmal – jeweils gegen die formstarken Leverkusener und Stuttgarter und das beide Male im Umschaltverhalten.

Zufall ist nicht alles, aber ein Erfolgsfaktor

Es gibt in der Bundesliga eine Reihe von Klubs, die quantitativ betrachtet mehr Tore mit Zufallsmerkmal erzielen als andere. Zugleich kassieren manche Teams auch mehr Gegentore mit Zufallsmerkmal als andere. Fakt ist aber auch: Bisher hat über eine gesamte Saison noch kein Team – weder offensiv noch defensiv -mehrheitlich mehr Treffer mit Zufallsmerkmal kassiert oder geschossen. Ob das diese Saison der Fall sein, wird sich zeigen.

Die meisten Tore werden also weiterhin “ehrlich” erzielt oder kassiert – unabhängig im Rahmen welcher Episodenart. Der Faktor Zufall scheint, aber das Potential zu sein, dass die Starken noch stärker macht. Alternativ ist es offensichtlich ein Mittel der “Underdogs”, um sich zumindest temporär zu behaupten. Mehr denn je müssen dafür aber erst einmal die Basics mit und gegen den Ball geliefert werden, bevor der Zufall seinen Beitrag leisten kann.  

Zugriff auf den Zufall bekommen

Mit Basics sind die elementaren Elemente des Profifußballs gemeint: Technik, Leistungs- und Laufbereitschaft sowie Taktik. Kobe Bryant hat mal die schönen Worte formuliert: “I never get bored with the basics.” Wenn die Basics bindungslos immer abrufbar sind, kann basierend darauf eine zusätzliche Klasse entwickelt werden. Hier konkret: den Zufall zu Eigen machen.

Entscheidend aus unserer beruflichen Erfahrung heraus ist aber, wie gut sind die Spieler in der Spielbeobachtung ohne Ball. Insbesondere, wenn das eigene Team noch in Ballkontrolle ist. Wie in diesem Artikel erwähnt, fallen im Schnitt die meisten Tore mit Zufallsmerkmal im Rahmen einer längeren Ballkontrollphase. Und seltener bei einem Umschaltverhalten oder Standard, wo aus verschiedenen Gründen die Aufmerksamkeit geschärft ist.

Zu Blind fürs Spiel, maximal gefordert in der eigenen Aktion

Wenn Athleten oder Vereine unsere Dienstleistung “Videotraining” einkaufen, nehmen wir im Dialog mit den Spielern verschiedener Alters- und Spielklassen (U-Bundesliga bis 1. Liga) immer wieder wahr, dass sie in bestimmten Situationen regelrecht “abschalten”. Obwohl der Ball rollt! Das gilt auch für die weiblichen Kicker. Ihr Blick und vor allem ihr Geist sind nach dem selbst gespielten Pass / der eigenen Aktion nicht in der gleichen Intensität auf das Spiel, den Raum, die eigene Positionierung und den Gegenspieler ausgerichtet wie zuvor. Auch die Orientierung vor dem ersten Kontakt stellt oftmals ein noch nicht vollständig ausgeschöpftes Potential dar. Beides wird nochmal verstärkt, wenn der Spieler ballfern ist. 

Die Spieler fühlen in diesem Moment keine Verantwortung für das Spiel, erkennen somit aber auch nicht die Chancen, die daraus entstehen. Denn: Der Gegner individuell als auch im Kollektiv hat sie gerade nicht im Blick, eine höhere Positionierung im freien Raum ohne hohes Tempo / zusätzlichen Kraftaufwand ist somit öfter möglich. Zugleich positionieren sie sich so für einen langen Ball aus der Abwehr heraus und haben mehr Zeit beim ersten Kontakt, da sich der Gegner zunächst umorientieren muss.

Videotraining: Intuition und Wahrnehmung gemeinsam schärfen

Die Realität ist jedoch oftmals, dass der Spieler erst wieder auf “aktiv” umschaltet, wenn sich das Anspiel aufdrängt. Und ist dann damit bereits oftmals so gefordert, dass er nur einen Bruchteil der Möglichkeiten wahrnimmt. Befindet sich der Klub zudem in einer sportlichen Ergebniskrise, sind viele Spieler von den eigenen ballnahen Aktionen bereits so gefordert, um unter allen Umständen keinen weiteren Fehler zu begehen.

Die Folge: Es wird auf Sicherheit gespielt oder der erste Kontakt sitzt nicht sauber, der zweite dient bereits einzig und allein der individuellen Sicherung des Balles. Kurzum: Der Ball wird fest gemacht, in einer geschlossenen Körperposition. Alternativ folgt der Rückpass zum Passgeber, der schlimmstenfalls bereits im Druck ist. Das kann schnell der Auslöser für Gegentore sein, aber gewiss nicht für eigene Torgefahr. 

Eine stärke und konstantere Spielwahrnehmung ist also der erste Schritt, um den Zufall auf seine Seite zu ziehen. Eine bessere Vorbereitung der eigenen Aktionen mit und ohne Ball folgt darauf. Daran zu arbeiten, bieten wir seit Jahren Spielerinnen und Spielern in allen Spielsportarten an. Bei Interesse, schreibt uns gern!